DIE 5 SINNE AM BEGINN DES LEBENS
Der Tast-, Hör- und Geschmackssinn entwickelt sich bereits im Mutterleib. Das Sehen lernt ein Neugeborenes hingegen erst nach der Geburt.
Der Tastsinn
Mit den Lippen erfühlt der Embryo zum ersten Mal seine Umgebung. Sieben Wochen nach der Empfängnis empfindet der etwa zwei Zentimeter lange Fötus über die Haut bereits „Gefühle“. Zwischen der achten und elften Schwangerschaftswoche registrieren die Sinneszellen in seiner Haut Berührungen. Er ertastet die Nabelschnur, die Gebärmutter, das Fruchtwasser und seinen Körper. Seine eigenen Bewegungen sind ebenso wie die seiner Mutter entscheidend für die Entwicklung seines Gehirns. Der Tastsinn ist bei der Geburt der am besten ausgebildete Sinn des Babys.
Auch während der ersten Monate nach der Geburt ist der Tastsinn der wichtigste Sinn für das Neugeborene. Es spürt sich selbst und die Grenze zur Umwelt. Darüber hinaus ist der Körperkontakt mit seiner engsten Bezugsperson entscheidend, um Gefühlsbindungen zu entwickeln. Die ersten Gefühle spürt jeder Mensch über die Haut. Haut und Nervensystem entwickeln sich beide aus dem Ektoderm.
Der Gleichgewichtssinn
Der Gleichgewichtssinn stellt den Embryo bereits vor der 12. Woche auf Schwerkraft ein. Im zweiten Schwangerschaftsmonat spürt es bereits, wenn seine Mutter sich bewegt. Ab dem dritten Schwangerschaftsmonat ist der vestibuläre Sinn als einer seiner Basissinne voll ausgereift. Er hilft dem Embryo, seine Bewegungen nach denen seiner Mutter auszurichten. Ein intakter Gleichgewichtssinn ist die Voraussetzung, dass das Kleinkind laufen lernt.
Die Tiefensensibilität (Eigenwahrnehmung)
Tast- und Gleichgewichtssinn hängen eng mit der Tiefensensibilität zusammen – der Eigenwahrnehmung oder dem Körpersinn (Propriozeption). Die entsprechenden Sinneszellen finden sich in Muskulatur, Sehnen, Bändern, Gelenken und Knochen. Sobald sich der Embryo bewegt, empfindet er seinen Körper. Aus dem Zusammenspiel von Eigen- und Fremdwahrnehmung entwickelt sich eine Vorstellung vom eigenen Körper. Die Eigenwahrnehmung ist bei der Geburt voll ausgebildet und spielt eine wichtige Rolle in der psychomotorischen Entwicklung des Kindes.
Der Geschmackssinn
Geschmacks- und Geruchssinn entwickeln sich während der Frühschwangerschaft. Im zweiten Schwangerschaftsmonat bildet sich die Zunge mit den Geschmacksknospen. Spätestens ab dem dritten Schwangerschaftsmonat entfaltet sich der Geschmackssinn: Der Embryo trinkt täglich etwa einen halben Liter Fruchtwasser und nimmt auch dessen Geschmack wahr. Bei der Geburt ist der Geschmackssinn bereits völlig ausgebildet.
Die Grundgeschmäcker können Neugeborene schon von Anfang unterscheiden. Bitteren und sauren Geschmack mögen sie nicht: sie verziehen das Gesicht oder versuchen, die Flüssigkeit auszuspucken. Auf Salziges reagieren sie kau. Süßes wie Muttermilch mögen sie.
Der Geruchssinn
Auch der Geruchssinn mit seinen etwa 30 Millionen Riechzellen entwickelt sich komplett im Mutterleib. Im sechsten Schwangerschaftsmonat könnte der Fötus riechen, wenn er nicht in Fruchtwasser schwämme. Ab dem vierten Tag nach der Geburt erkennt ein Baby seine Mutter an ihrem Geruch. Ein neugeborenes Baby besitzt etwa doppelt so viele Riechsinneszellen wie ein Erwachsener. Da im Lauf der Entwicklung die Bedeutung des Sehens zunimmt, verdrängt der Sehsinn einen Teil des Geruchssinns.
Der Hörsinn
Die Ohren haben sich ab der zwölften Woche gebildet. Doch dauert es noch einige Wochen, bis der Embryo wirklich hören kann. Im fünften Monat verwandeln sich die Gehörknorpel in Knöchelchen, der Fötus reagiert auf laute Geräusche mit einem Lidschlag. In der 22. Woche ist die Hörschnecke voll ausgereift. Bevor das Hörsystem beginnt, Umweltgeräusche aufzunehmen, produziert es ein eigenes „Grundgeräusch“. Dann kann das heranwachsende Kind den Blutkreislauf und die Herztöne der Mutter hören sowie ihre Stimme. Die Umweltgeräusche nimmt es ebenfalls gedämpft durch die Bauchdecke und die Gebärmutter wahr. Der Hörsinn ist am Ende des ersten Lebensmonats voll ausgebildet. Nach drei bis fünf Monaten richten Babys den Kopf nach einem Geräusch aus. Mit sechs bis zehn Monaten hört das Kleinkind auf den eigenen Namen und sucht nach Geräuschquellen.
Der Sehsinn
Als letzter Sinn entwickelt sich ab dem achten Schwangerschaftsmonat der Sehsinn. In der 16. Schwangerschaftswoche kann der Fötus zwar schon die Augen bewegen, aber noch nicht sehen. Der Sehsinn ist bei der Geburt noch nicht völlig funktionsfähig, sondern entwickelt sich in sechs bis acht Monaten durch entsprechende Erfahrungen. Das Gehirn des Babys muss das Sehen lernen. Seine Nervenzellen reagieren zunächst auf Licht und Schatten sowie auf Konturen. Im Lauf der Monate bekommen diese Informationen eine Bedeutung. Neugeborene Babys können Farben erkennen, aber nicht unterscheiden. In einem Abstand von etwa 20 Zentimetern können sie am besten sehen, aber noch nicht scharf.
Im zweiten und dritten Monat lernt das Baby, Farbtöne voneinander zu unterscheiden. Am Ende des vierten Monats kann es alle Farben wahrnehmen. Auch das Bewegungssehen entwickelt sich schnell. Zwar ist das Blickfeld nach der Geburt noch sehr begrenzt, doch mit drei Monaten können Säuglinge ein bewegtes Objekt schon mit dem Blick verfolgen. Bis ein Kleinkind die Tiefe eines Raumes abschätzen kann, vergehen zwei Jahre. Erst im Kindergarten- oder Schulalter ist es in der Lage, ein Objekt aufzufangen, dessen Bewegungsbahn ihm noch unbekannt ist.
Letzte Aktualisierung: 11.05.2021
REFERENZEN
Modifiziert nach: Rohen, J. W., Funktionelle Embryologie: Die Entwicklung der Funktionssysteme des menschlichen Organismus, 5. Auflage 2017, Schattauer Verlag, ISBN: 978-3-7945-3219-3, Zugriffsdatum 20. Mai 2018: http://www.schattauer.de/book/detail/product/1333-funktionelle-embryologie.html