Krankheitsbild Multiple Sklerose
Die Multiple Sklerose (MS) ist eine chronisch-entzündliche Erkrankung des zentralen Nervensystems (ZNS). Als demyelinisierende Autoimmunkrankheit schädigt sie Nervenzellen in Gehirn und Rückenmark.1
Weltweit sind mehr als 2,5 Millionen Menschen von MS betroffen.1 Nimmt man Daten der gesetzlichen Krankenversicherungen als Grundlage, liegt die Zahl der Erkrankten in Deutschland bei ca. 200.000.2 Frauen sind doppelt so häufig betroffen wie Männer und die Erkrankung manifestiert sich typischerweise zwischen dem 20. und 40. Lebensjahr.1
Epidemiologische Studien zeigen eine sehr ungleichmäßige Verteilung der Patientenpopulation.3 Die Prävalenzraten sind in Nordamerika und Europa besonders hoch (291 Fälle je 100.000 Einwohner in Kanada und den USA sowie 174 von 100.000 Einwohner in Deutschland) und in Asien, Afrika und Südamerika mit unter 30 Fällen je 100.000 Einwohner vergleichsweise niedrig.4
Typisch für MS ist eine schubförmige Schädigung der Myelinscheide von Nervenzellen. Ursächlich dafür sind autoimmune Entzündungsreaktionen, die zu einer Vernarbung führen. Diese multifokalen Herde werden Sklerosen genannt und sind namensgebend für die Erkrankung. Veränderungen im ZNS, die über bildgebende Verfahren nachgewiesen werden können, werden auch als Läsionen bezeichnet.
Die Schädigung der Myelinscheide stört die physiologische Reizweiterleitung vom ZNS zu anderen Regionen des Körpers. Oligodendrozyten sind als spezielle Gliazellen im ZNS für die Bildung der Myelinscheide verantwortlich. Grundsätzlich ist durch Aktivität dieser Zellen eine Reparatur beschädigter Myelinscheiden möglich - ein Prozess, der Remyelinisierung genannt wird. In frühen Stadien der MS kann nach Schüben häufig eine solche Reparatur nachgewiesen werden, im weiteren Verlauf der Erkrankung findet diese aber immer seltener statt.5 Man geht davon aus, dass die Differenzierung der Oligodendrozyten aus oligodendroglialen Vorläuferzellen gestört ist und so die Remyelinisierung nicht stattfinden kann.6
MS – die Krankheit der 1000 Gesichter
Die symptomatische Ausprägung der MS ist vielfältig. Je nach betroffener Region im ZNS können sich motorische, sensorische und/oder kognitive Einschränkungen entwickeln. Typische Symptome sind unter anderem:7
- Visusminderung
- Optikusneuritis
- spastische Paresen
- Extremitäten- und Gangataxien
- Tremor
- Dysarthrie
- Parästhesien und Dysästhesien
- Blasen-, Darm- und Sexualstörungen
- Fatigue
- Depressionen
Keines diese Symptome ist spezifisch für die Multiple Sklerose und alle können auch durch andere Erkrankungen ausgelöst werden. Die Differentialdiagnostik spielt daher eine wichtige Rolle.
Die Ursache der MS ist bis heute unklar und Gegenstand aktueller Forschung. Genauso wenig Klarheit herrscht bei der Frage, wodurch ein Krankheitsschub ausgelöst wird. Unbestritten ist, dass immunologische Prozesse maßgeblich zu den pathologischen Veränderungen im ZNS beitragen. Immunzellen wandern zu einem frühen Zeitpunkt der Erkrankung vom Blut in das ZNS und lösen Entzündungsreaktionen aus. Medikamente zur Therapie der MS greifen entsprechend an verschiedenen Stellen in das Immunsystem ein.
Fraglich ist, was die Fehlsteuerung des Immunsystems kausal verursacht.8 Heutige Erklärungsansätze gehen davon aus, dass die grundlegende Ätiopathogenese der MS multifaktoriell ist. Von einer genetischen Prädisposition ist auszugehen, da das Erkrankungsrisiko bei Blutsverwandten von MS-Patienten erhöht ist. Eine monogene Vererbung wie bei klassischen Erbkrankheiten findet aber nicht statt. Vielmehr geht man heute davon aus, dass komplexe, multigene Veränderungen eine Rolle spielen.9 Es gibt also keinen klar zu identifizierenden Genotyp, welcher der MS zugeordnet werden kann.
Umwelteinflüsse scheinen neben der Genetik ein weiterer wichtiger Faktor zu sein. Diskutiert werden in diesem Zusammenhang vor allem virale Infektionen (z. B. mit dem Epstein-Barr-Virus, EBV) und ein Vitamin-D-Mangel.10 Vitamin D wird für verschiedene zelluläre Prozesse benötigt und ist unter anderem an der Regulation zahlreicher immunrelevanter Gene beteiligt. Besonders interessant scheint dieser Faktor in Anbetracht der Tatsache, dass die Prävalenz regional sehr unterschiedlich und in lichtarmen Regionen auf der nördlichen Halbkugel deutlich höher ist.9
Letzte Aktualisierung: 17.04.2018